U5, «Recreation Areas», Poster mit einer Auswahl von seit 2019 entstandenen
Miniaturen im Massstab 1:100
Das 4 × 4 «Recreation Areas»-Ratschläge-Poster von U5 verspricht Trost und Linderung für jede Lebenslage. Die Modelle in absurden Skalierungen sind getränkt mit dem Charme von Werbung und dem Pfeffer von Persiflagen. Wir durchschauen die Strategie genauso wie die Machart und können uns ihnen doch nicht entziehen, erliegen den quirligen Inseln, sobald wir uns auch nur kurz auf sie einlassen. So aufschlussreich wie Tarotkarten und so tiefgründig und nachhaltig wie jede Form von Selbstreflexion und Erkenntnisgewinn versprechen sie, die Gedanken zu sortieren und den Weg in ein besseres Leben zu weisen.
«Recreation Areas» sind handflächengrosse Biotope unterschiedlicher Kategorien im Modellformat. Zum Beispiel «Mountain View Prison» in der Kategorie «Routine»: Ein Gefängnis mit Säntissicht – unvorstellbar! Aber nein, das gibt es da und dort. In der Selbstverständlichkeit von «Schöner Wohnen» gefangen, kann es ganz schön eng werden, und dann hilft auch die beste Aussicht nichts. Da bleibt nur noch die Flucht. Zum Beispiel ins Basteln und Improvisieren. So entstehen Mythen, neue Geschichten, haufenweise. Routine kann auch im Schlafzimmer aufkommen, etwa mit Tablet und Insta vor der Nase. Was hier hilft? Augen zu und schlafen. Was danach geschieht: Protest, etwa im Sinne von Yoko Onos und John Lennons mehrtägiger Performance «Bed-In for Peace» von 1969. So einfach liesse sich das Leben mit all seinen Tücken, Anstrengungen und Überflüssen meistern, wenn wir die Tipps von U5 befolgen.
Die gestalterische Struktur der Präsentation und die Kategorisierungen wirken ordentlich systematisch. Dem stehen die Unübersichtlichkeit dank Spiegeleffekt zwischen lila Rauchschwaden sowie die Machart gegenüber. Nichts ist zu wertlos, dank Heissleim nicht Teil der Verheissung zu werden: Reissnagel, Heftklammern, Duschvorhangringe, Plexiglassplitter, Samen, Spielkarten, Muscheln, Knochen, Kerne. Es gibt keine Grenzen, alles ist möglich. Wer sich von der Unfähigkeit zu entscheiden befreien will, nimmt den Joker und vergrössert die Auswahl. Wir müssen einzig unserer Intuition vertrauen.
«Konsequenz, Entscheidung, Reduktion sind uns ein Gräuel. Wir schätzen Zweifel, Zufall, Entgleiten, Emotionen.» So fassen U5, die auch in transdisziplinäre Forschungsprojekte involviert sind, ihre Haltung zusammen. Als Kunstschaffende möchten sie vorgegebene Pfade stören, Gegenpositionen zum Gigantismus einnehmen und den Fokus auf die Methoden legen. Einer von Rationalisierung und Verschwendung geprägten Welt setzt das Kollektiv offene Denk-, Spiel- und Imaginationsräume für Interaktionen und Interpretationen entgegen, Orte für den Homo ludens. Entsprechend subversiv ist sein Umgang mit den Errungenschaften der Digitalisierung in früheren Arbeiten. U5, 2007 gegründet und in St.Gallen ansässig, hat sich mit tiefer Überzeugung bereits während der 2011 abgeschlossenen Ausbildung an der Zürcher Hochschule der Künste, wo es Neue Medien studierte, für die kollektive Arbeitsweise entschieden. Wieso? Eine Antwort ist bei «Biosphere 5» zu finden. Ursula Badrutt