Sebastian Stadler: «Untitled», 2025, aus der Serie «New Archeologies»
In Abwandlung des bekannten Buches von Daniel Kehlmann «Die Vermessung der Welt» könnte man einem Text über die neue Werkserie «New Archeologies» von Sebastian Stadler (*1988 in St.Gallen) den Titel «Die Vermessung der Bilder» geben. Als an den Kunsthochschulen in Zürich und Lausanne ausgebildeter Fotograf, der neben seiner künstlerischen Arbeit auch im Auftrag von Museen Kunstwerke ablichtet, kennt er die Farb- und Messsysteme, die für möglichst korrekte Reproduktionen neben Gemälde und Objekte gelegt werden. Auch Wissenschaft und andere Disziplinen setzen Messsysteme ein, um Abbild und Abgebildetes, Darstellung und Wirklichkeit in Relation zu setzen. Solche Instrumente scheinen sich nun in Stadlers atmosphärische Bilder verirrt zu haben. Schaut man das vorliegende Blatt genauer an, erkennt man, dass die beiden Lineale unsinnige Zahlenreihen aufweisen. Erfunden hat sie auf Befehl des Künstlers ein KI-Programm. Statt ausserhalb des Bildes zu liegen, schweben sie als irritierendes Element frei im Bildraum. Dass der Künstler, der sich neben Video vor allem der analogen Fotografie verschrieben hat, mit KI arbeitet, ist nicht neu. An seiner Manor Kunstpreis-Ausstellung «Pictures, I think», 2019 im Kunstmuseum St.Gallen, liess Sebastian Stadler Bilderkennungsprogramme live seine Fotografien «lesen» und Werke der Sammlung mit Texten aus der digitalen Gutenberg Bibliothek verknüpfen. In der neuen Serie kehrt er den Prozess um, seine Prompts generieren Bilder. Wie die Messhilfen keine lesbaren Masseinheiten liefern, zeigen die Fotografien oft nicht eindeutig Benennbares. Sie entstehen aus Mehrfachbelichtungen und Collagen. Gelegentlich erkennt man Elemente aus der Natur, wie hier eine Landschaft in verfremdeter Farbigkeit. In anderen bleiben lasierende Farbschichten gänzlich abstrakt. Es ist die Transparenz der sich überlagernden Bildebenen, die den Fotografien ihren besonderen Charakter geben.
Der Titel «New Archeologies» leitet die Betrachtenden in die Tiefe der Bilder. In der archäologischen Forschung gräbt man durch die materiellen Schichten, die sich im Laufe der Jahrtausende über die Lebensspuren früherer Menschen gelegt haben. Die gemessene Tiefe steht im Verhältnis zur verflossenen Zeit. Heute sucht man weniger nach Artefakten als nach Spuren, die auch über den immateriellen Lebensalltag früherer Gemeinschaften erzählen. Stadlers neue Arbeiten erinnern gelegentlich an Röntgenbilder, die Verborgenes in die Sichtbarkeit transferieren. Sie werfen die Frage auf, wie die Archäologie in der Zukunft die digitalen Spuren der heutigen Zivilisation erforschen und vermessen wird. Erratische, unlesbare Datenschnipsel werden dereinst als die Scherben zukünftiger Forschung dienen.
Corinne Schatz

