Roman Signer, «Hüterin des Feuers», Fotografie: Stefan Rohner
Woher seine Ideen stammen und wie sie entstehen, weiss Roman Signer nicht. Aber sie fliessen zuverlässig. Und immer wieder machen seine Arbeiten etwas sichtbar, das oft übersehen wird: physikalische, seelische oder historische Kräfte, die eine grosse Auswirkung auf uns haben, auf Einzelne und die Gesellschaft, auf den Gang der Dinge. Das gilt auch für die vorliegende Arbeit. Roman Signer gibt ihr den Titel «Hüterin des Feuers». Fotografiert hat Stefan Rohner. Vor Jahrzehnten bereiste der Fotograf und Künstler zusammen mit Roman Signer Polen, die Heimat von dessen Frau Aleksandra Signer-Rogowiec. Sie stammt aus Zakopane, der Stadt am Fuss der Hohen Tatra. Und dort entstand das Bild. Es zeigt Bronisława Rogowiec, genannt Bronka, Aleksandras Tante. «Eine unglaublich starke Frau», sagt Roman Signer, bevor er und Aleksandra deren Leben zu schildern beginnen.
Sie sei das älteste von 13 Kindern gewesen, habe deshalb die Aufgabe gehabt, zu ihren jüngeren Geschwistern zu schauen, als «zweite Mutter», wie es damals in grossen Familien üblich war. Und eine zweite Mutter blieb sie ihr Leben lang. Bildhübsch sei sie gewesen, einen Freund habe sie zwar gehabt. Geheiratet habe sie aber nie. Männern sei sie mit Skepsis begegnet.
Roman und Aleksandra Signer erzählen vom Zweiten Weltkrieg und der gemeinsamen Invasion Polens durch Nazi-Deutschland und die Sowjetunion. Von der Besetzung Zakopanes durch deutsche Truppen und von deren Kriegsverbrechen; vom Überlebenswillen ihrer Tante Bronka, die sich im Wald versteckte, als sie abgeholt werden sollte; von ihrem Onkel, der nach Auschwitz und später als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt wurde, weil er ein guter Sportler war und die Nazis das Ziel hatten, die polnischen Eliten zu vernichten, Wissenschaftler, Geschäftsleute, Künstler und auch Sportler.
Und Roman und Aleksandra erzählen auch von der kommunistischen Zeit. Weil wichtige Grundnahrungsmittel knapp waren, übernahm es Tante Bronka, frühmorgens vor den Verkaufslokalen um Milch oder Kartoffeln anzustehen. Als alleinstehende Frau wurde sie in die Familie von Aleksandras Eltern aufgenommen, sorgte wiederum für die ganze Familie, besuchte sonntags oft den Onkel, der Auschwitz und die Zwangsarbeit überlebt hatte, und kochte für ihn.
Stefan Rohners Fotografie zeigt Tante Bronka in der Küche in Aleksandras Elternhaus in Zakopane. Sie beobachtet und bewacht das Feuer im Holzherd. Eine Hüterin des Feuers ist sie im praktischen, aber auch im übertragenen Sinn. Feuer bedarf immer der Aufmerksamkeit. So, wie alle Formen der Energie, alle Kräfte, die im Alltag, in Politik, Gesellschaft und Kultur oft unerkannt und unbewusst wirken.
Roman Signer ist als Künstler deshalb auch ein Aufklärer. Seine Werke führen zu überraschenden Einsichten, sind dadurch häufig nicht nur ernst, sondern auch humorvoll, manchmal rätselhaft. Die Hüterin des Feuers steht für das, was heute gerne als Achtsamkeit bezeichnet wird: für die Konzentration auf Wesentliches. Hanspeter Spörri