Rachel Lumsden, Hüftgold, zollfrei
Malerei, Monotypie, digitale Collage, 2025
«Very British» geht es im Kunstblatt von Rachel Lumsden zu und her. Vom Toby-Jug über das Rezept für Scones bis hin zum berühmt-berüchtigten Humor ist alles da. Und ganz subtil schleicht sich etwas Weltpolitik ein. Den Toby-Jug und die beiden Ratschen, Eule und Kätzchen wie im Kinderreim, hat die Künstlerin einem ihrer Gemälde entnommen. Der Toby-Jug ist ein Bierkrug in Form eines karikierten, sitzenden Mannes in der Kleidung des 18. Jahrhunderts. Damals entstanden diese Trinkgefässe in der Keramikhochburg Staffordshire und traten ihren Siegeszug durch die Pubs und als Sammlerstücke in die Haushalte an. Im Kunstblatt findet man auch Grossmutter Dixons Rezept für Scones, das Gebäck, ohne das es keine echte Teatime geben kann. Beginnt man zu lesen, bahnt sich Irritation den Weg, steht doch da geschrieben: a recipe for every disaster (Zoll frei). Aus unserer Kindheit kennen wir Grossmutters Rezepte unter anderem als Trost bei kleinen und grossen Krisen. Im Englischen führt jedoch ein «recipe for disaster» unzweifelhaft und geradewegs in eine Katastrophe. Solche sprachlichen Verwirrspiele sind der Künstlerin sehr willkommen. Redewendungen eignen sich besonders dafür, lassen sie sich doch selten wörtlich übersetzen. Rachel Lumsden sieht in dieser Mehrdeutigkeit auch ein Zeichen der Zeit, in der einerseits das Denken auf plumpes Schwarz-Weiss reduziert wird, andererseits klare Aussagen ins pure Gegenteil verdreht werden. Damit spielt sie auch im hingekritzelten Spruch auf dem Bild. Die Zeilen Hüftgold aus Britain / sticks to your Rippen / und steigt dir in den Head sind ein vergnügliches Wechselspiel zwischen englischen und deutschen Redewendungen. Dass Rezepte für Gebäck sogar eine brisante politische Bedeutung erlangen können, beweist eine unglaubliche Geschichte aus den Annalen des britischen Geheimdienstes MI6. Dieser ersetzte 2010 mit James-Bond-würdigem Humor in einem englischsprachigen Online-Magazin der Al Qaida Anleitungen für den Bau von Bomben, betitelt Make a Bomb in the Kitchen of Your Mom, durch Rezepte für amerikanische Cupcakes.
Rachel Lumsden ist ebenso professionell wie leidenschaftlich Malerin. 1968 in Newcastle-upon-Tyne geboren, absolvierte sie ein Masterstudium an den
Royal Academy Schools in London. Seit 2002 arbeitet und lebt die britisch-schweizerische Künstlerin in der Ostschweiz und in Schaan. Ihre Malerei lebt von der Spannung zwischen Figuration und Malprozess. Die Motive findet
sie im privaten, alltäglichen Umfeld, wie im Kunstblatt zu sehen, und in gesellschaftlichen und politischen Ereignissen, denen sie eine historische Dimension zuspricht. Im Herbst 2023 machte ihr Manifest für die Malerei, Ritt auf der Wildsau (Igniting Penguins – A Manifesto for Painting) Furore. Es ist eine scharfzüngige und amüsante Abrechnung mit der Kunstszene und gibt einen tiefen Einblick in das Geheimnis des Malens. Corinne Schatz