Karin Schwarzbek: «Suitable», Bildsequenz aus Live-Foto geblitzt
Smartphone-Kameras bieten einen Livemodus: Jedes Foto wird von einem kurzen Video ummantelt. Daraus können bis zu 50 einzelne Fotos gesichert werden. Für die vorliegende Arbeit hat Karin Schwarzbek vier Fotos ausgewählt. Sie zeigen, wie der reflektierende Stoff eines Anzugs das auftreffende Blitzlicht mit Hilfe von feinsten Glaskörnern zur Lichtquelle gerichtet zurückspiegelt. Eine geisterhaft strahlende Gestalt erscheint in einem der Bilder.
Karin Schwarzbek ist in sogenannt einfachen Verhältnissen im Oberthurgau aufgewachsen. Vielleicht deshalb entwickelte sie ein Sensorium für Zugehörigkeit und Ausgrenzung, für Beachtung und Nicht-Beachtung. Nach der Ausbildung zur Primarlehrerin studierte sie an der ZHdK. Heute lebt sie in Zürich und hat ihr Atelier in einer Zwischennutzung im Manegg-Quartier.
Schon in den ersten Minuten unserer Begegnung sind wir in ein Gespräch vertieft, in dem es nicht allein um Kunst und künstlerische Arbeitsprozesse geht, sondern auch um die Gesellschaft und ihre Schichtung, um tiefgreifende Veränderungen des Alltags, um das Sicherheitsbedürfnis und um das Bedürfnis nach Sichtbarkeit.
In Karin Schwarzbeks künstlerischer Arbeit dienen gegenwärtig reflektierende Stoffe und Warnwesten aus fluoreszierendem Gewebe als Ausgangsmaterial. Ihr ist aufgefallen, dass gelbe und orange Warnwesten im Strassenbild immer häufiger werden. Sie trägt selbst eine, wenn sie an ihrer Schule die Pausenaufsicht übernimmt. Velofahrerinnen ziehen sie sich über, Arbeiter und Kinder sind dank ihnen besser sichtbar. Sie machen darauf aufmerksam, dass da jemand ist: eine schwächere oder gefährdete Person, jemand mit Vortrittsrecht, jemand in offizieller Mission.
In ihrem Arbeitsprozess deutet Karin Schwarzbek die Materialen um. Sie interessiert die Frage, wie und wo Sicherheitsbekleidung getragen wird und was sie für das individuelle Sicherheitsgefühl bedeuten könnte. Auch Kleider und Objekte des Freizeitsports stehen aus ihrer Sicht in einem Bezug zu den gesellschaftlichen Ansprüchen auf Selbstoptimierung und Selbstermächtigung. Sie macht sichtbar, wie auch das individuelle Sicherheitsempfinden Konventionen folgt und zeigt deren ästhetische Dimension.
Die Warnweste als Objekt führt mitten hinein in den Alltag einer Gesellschaft in Bewegung, die sich gegen Gefahren wappnen und Risiken kontrollieren will. In Frankreich wurden die gelben Westen einst zum Erkennungszeichen der
Unzufriedenen und Empörten, die den Protest machtvoll auf die Strasse trugen. Eine Warnung an Einflussreiche und Eliten, es nicht zu weit zu treiben – mit dem Projekt der Moderne, der Liberalisierung oder womit auch immer.
Auch Karin Schwarzbeks raumgreifende künstlerische Arbeiten tragen Warnungen in sich – und die Aufforderung, das Bedürfnis nach Sicherheit und Sichtbarkeit in der Gesellschaft, nach Würde und Anerkennung ernst zu nehmen, sich bewusst zu sein, welche Energien und Gefahren darin schlummern. Eindeutigkeit ist nicht möglich, wo es um die Ambivalenz von Gefühlen und Wahrnehmungen geht. Hanspeter Spörri