Bilder und Aramis Navarro, «The Second House Signifies Arrivederci»
«Bitte … zeichne mir ein Schaf», sagt der Kleine Prinz mitten in der Wüste zum Erzähler in Antoine de Saint-Exupérys Märchen. Heute würde er seinen Wunsch vielleicht als Prompt an ein KI-Programm senden – ohne höfliches «Bitte». Der Künstler Aramis Navarro wünscht sich kein Schaf, sondern: «resemble a child’s first attempt at pottery – serious». Man wüsste gerne, was er als Resultat erhalten hat, das wird jedoch auf seinem Kunstblatt nicht offenbart, sondern bleibt unserer Fantasie überlassen. Ob es so überraschend wäre wie im wunderbaren Märchen? Jedenfalls sind die abgebildeten Hände sicherlich nicht KI-generiert und auch keine Kinderhände; zu zart sind sie und zu elegant ihre tänzerische Gestik. Sie machen nicht den Eindruck, als ob sie kraftvoll in einen Klumpen Ton griffen. Vielleicht hat der Computer deshalb eine Fehlermeldung eingeblendet. Zur Wahl steht «Would you like to MAGIC?» Doch welche Magie käme in Gang, wenn man «Continue» drückte? Erscheint es nicht sowieso ein wenig wie Zauberei, wenn eine Maschine unsere Fragen beantwortet, Fotos und Texte aus Millionen von Daten konstruiert? Oder liegt die gesuchte Magie eher in jenem Zustand der Versunkenheit, wie sie nur ein Kind erlangt, das selbstvergessen spielt oder malt? Ein Zustand, der für Erwachsene oft unerreichbar scheint, weil die stets kommentierende Selbstbeobachtung kaum zum Schweigen zu bringen ist. Als Künstler sehnt sich Navarro nach jenem magischen Moment, in dem sich das Schaffen verselbständigt, der sich jedoch kaum absichtlich – schon gar nicht auf Knopfdruck – herbeiführen lässt.
Im Kunstblatt von Aramis Navarro bleibt einiges ambivalent und von Rätselhaftigkeit umschlossen. Leichter lesbar wirkt da der Teller Pasta und eine sich über die Bildfläche schlängelnde Spaghetti, welche die Umrisse des Kantons St.Gallen mit jenen Siziliens verbindet; ein Hinweis auf ein Atelierstipendium in Palermo, das ihm vom Istituto Svizzero für die Herbstmonate ausgerichtet wird.
Aramis Navarros multimediales Schaffen bewegt sich simultan auf ganz verschiedenen Bedeutungsebenen, die in einzelnen Werken, vorwiegend jedoch in installativen Konstellationen manifest werden. Die alltägliche wie auch wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Sprache bildet darin ein wesentliches Fundament. Als Sohn spanischer Eltern 1991 geboren, ist er zweisprachig aufgewachsen und war schon im Studium an der Zürcher Hochschule der Künste fasziniert, wie sich seine Wahrnehmung und sein Denken verändern, wenn er die Sprache wechselt. Insbesondere die Wandlung von Zeichen und Bedeutungen interessiert ihn. Zurzeit widmet er sich den Analogien zwischen okkultistischer Sprache und Computerlinguistik, zum Beispiel Zaubersprüchen und Prompts. Beide verbindet, dass sie für die meisten Menschen undurchschaubar sind und zugleich Glaubwürdigkeit behaupten. Wie Glaubenssysteme in ganz verschiedenen Bereichen unseren Alltag prägen, ohne dass wir dessen gewahr werden, ist für Navarro eine grundsätzliche Frage. Corinne Schatz